In nur wenigen Tagen, am 19. September, wird es ein Jahr her sein - es ist also der erste Jahrestag seitdem mein enger Freund Sven "Icebear" verstarb, mit welchem ich viel in The Elder Scrolls gespielt hatte.
Fast jeden Tag verbrachten wir der ersten Septemberhälfte des letzten Jahres damit, gemütlich in Artaeum zu chillen, wo ich ihm beim ausgraben von Antiquitäten Gesellschaft leistete. Wir levelten Rapportpunkte für unseren "Bast'l Wast'l" und die Mirri, über die er sich so gefreut hatte, nachdem ich ihm in dem Jahr das Blackwood Kapitel schenkte. Wir questeten gemeinsam, erledigten viele Delve Bosse, schwatzten Stundenlang beim spielen über die vielen Themen des Tages ... über Gedanken, die wir uns machten, oder Gesundheitliche Dinge.
Mit seiner Gesundheit ging es immer weiter bergab. Er hatte gerade erst eine heftige Erkältung hinter sich. Am Telefon meinte er auch mal zu mir, er glaubte, habe das böse C, also vielleicht Corona bekommen. Da er einen stark geschwächten Körper hatte, trafen ihn dererlei Dinge meistens sehr hart. Aber er war auf dem aufsteigenden Ast. Kurz bevor wir zum letzten mal miteinander sprachen, klang er schon viel besser. Garnicht mehr heiser, wie an den Tagen zuvor.
Sven hatte einen Nicknamen. Icebear. Den bekam er, weil das Wetter noch so kalt sein kann, das hat ihm nie etwas ausgemacht. Und er hatte immer coole Stories über alle möglichen Dinge, die erzählte, wenn wir im Voicechat oder am Telefon waren. Alle die ihn kannten, bemerkten sicher seinen derben Humor, den ich trotzdem sehr gerne mochte. Ich könnte ihm stundenlang zuhören, jeden Tag. Er hatte auch eine weiche tiefe Stimme. Fast wie ein Mensch gewordener Bär. Ich denke, auch deswegen hat er so einen passenden Spitznamen.
Wir sind beide mitte 40, und kannten uns unser halbes Leben schon. Sind uns oft begegnet, und er wohnte nur eine Stadt weiter. Das ging mit der Bahn in etwa einer Stunde. Vor langer Zeit haben wir aber auch schon alle möglichen Online Spiele gespielt. Mit ESO hatte er vor mir angefangen, und irgendwann vor so drei Jahren kam ich erst dazu. Aber wir spielten genug andere Spiele über die Jahre verteilt.
Ich habe nur wenige so warmherzige Menschen kennengelernt. Wir konnten immer und über alles sprechen. Auch wenn sein gesundheitlicher Zustand über die Jahre so schlimm wurde, dass er nur noch mit schweren Schmerzstillenden Medikamenten "funktionieren" konnte. Diese hatte er auch versucht zu reduzieren, zwischendurch, aber im Voicechat, und am Telefon hörte ich immer, wie sehr ihm einfach bewegungen weh taten. Aufstehen konnte er vielleicht noch, aber gehen schon lange nicht mehr. Es gab eine Betreuung, die sich alle paar Tage in der Woche um ihn kümmerte.
Das letzte mal, als wir in ESO gespielt hatten, waren wir auf einer Quest in Reaper's March. Dort galt es, die Stadt Dune zu befreien. Er mit seinem Lieblingscharakter, genannt Silpurr, eine Khajitische Diebin, auf die er mächtig stolz war. Sie konnte super schleichen, war aber auch Meister im Crafting. Er hatte noch mehr Charaktere, Beartholomew zum Beispiel, ein kleines Wortspiel im Namen was seinen Humor schön zeigt. Er liebte Wortspiele, "Dad Humor", deadpan Humor, trockene Flachwitze über alles.
Alleinstehend, und ohne Familie, und ohne viele Freunde in den letzten Jahren, war ich einer seiner ganz wenigen regelmäßigen Kontakte, die er pflegte. Und wenn er noch bei mir wäre, so würden wir noch heute jeden Tag daddeln, Flachwitze reißen, oder gemeinschaftlich dösen. Einfach alles, worauf wir gerade Bock gehabt hätten. Ich hab ihn von Herzen geliebt, und sein Tod hat mich das ganze Jahr lang mehr beschäftigt und angeschlagen, als ich dachte, was möglich ist. Ich dachte, ich wüsste wie das ist, aber es traf mich unvorbereitet, es traf ins Herz, und hat mir lange Zeit viel von meiner Lebensfreude genommen. Ohne die Liebe meiner engsten Freunde, und Familie, wäre ich damit alleine gewesen, und ich weiss nicht, ob ich damit klar gekommen wäre. Ich habe in diesem vergangenen Jahr viele kleine Dinge gemacht, um den Verlusst zu verarbeiten.
Als ich das letzte mal mit ihm sprach, am Telefon, waren noch andere Freunde bei mir. Beide auch gute Freunde von Sven, die ihn schon Jahre lang nicht mehr gehört hatten. Es war eine kleine Grillfeier zu der ich eingeladen war. Meine Freunde wollten mich an dem Tag aufbauen, aufheitern, weil nämlich eine Woche davor erst, jemand aus meiner Familie verstorben war. Und ich war ziemlich fertig und verdattert. Wir waren aber am Telefon doch recht ausgelassen, und Icebear war überglücklich alte Freunde mal wieder zu hören. Ich spürte aber zugleich auch dass er traurig war, nicht mit dabei sein zu können. Die anderen hatten das ganze geplant, ohne überhaupt zu wissen, dass ich mit Icebear jeden Tag gerne mal telefonierte. Als alle zusammen waren und ich vorschlug, dass wir telefonisch zusammen die Gelegenheit beim Schopf ergreifen sollten, zu grüßen, freuten sich alle aber total!
Wir telefonierten eine halbe Stunde oder so. Hätte ich gewusst, dass es das letzte mal sein wird, dass ich die Stimme meines Freundes hören darf, ...
Irgendwann wollten die anderen den Grill anmachen. Und wir verabschiedeten uns. Ich war doch traurig, dass er nicht da war, bzw. wir bei ihm. Aber so war es. Man hörte das wirklich raus, wie sehr er sich das auch wünschte.
Ich versprach ihm, sofort am nächsten Mittag anzurufen. Wir würden zu zweit weiter Elder Scrolls Online spielen. Und da freute er sich auch drauf. Seine Stimme klang, wie gesagt, auch garnicht mehr heiser. Die Erkältung war wie verflogen! Das Grillen war schön zusamen mit den anderen, und ich fühlte mich da geborgen, und war dankbar für den Trost, den man mir spendete. Immerhin war gerade erst der beste Freund meiner Mutter verstorben, und der war einer der liebsten Menschen gewesen, die ich kannte.
Am folgenden Tag rief ich Icebear an, wie versprochen. Aber es ging niemand an das Telefon. Da Icebear sein Zuhause eigentlich garnicht verlassen kann, war ich kurz besorgt. Aber vermutete, dass der Pflegedienst wieder mal bei ihm zuhause sei. Die würden ihn umsorgen. Ich blieb trotzdem nervös. Aber nahm mir vor, es später nochmal zu versuchen.
Direkt am nächsten Morgen beim aufwachen fiel mir ein, dass ich doch nochmal anrufen wollte. Kurz wieder etwas gewartet, damit es nicht zu früh am Tag ist, und dann immer wieder die Nummer angerufen. Irgendwann waren das keine Sorgen mehr, die ich hatte, sondern direkt Panik. Es geht einfach nicht, dass er nicht ans Telefon geht. Es ist doch immer direkt neben ihm.
Ich versuchte mich ein paar Minuten lang zu beruhigen, und dann fing ich an, mit der Auskunft im Internet verschiedene Krankenhäuser in Ortsteilen bei ihm zu ermitteln, und überall nachzufragen, ob jemand mit seinem Namen dort sei, aber nach nur zwei Versuchen davon, warf ich diese Idee über Bord und rief direkt den Notruf. Bettelte dort mehr oder weniger, dass jemand sofort zu dieser Adresse fahren möge um nach dem Rechten zu sehen. Man sagte mir, dass es dabei zu einer Wohnungsöffnung kommen kann. Mir war das alles egal, lieber einen Icebear der stinkesauer auf mich ist, als vielleicht zu spät zu sein.
Nicht lange danach kam ein Anruf von unbekannter Nummer, und ein Polizist teilte mir mit, dass man meinen Freund in seiner Wohnung nicht lebend vorgefunden hat. Der Polizist tut mir richtig leid, im Nachhinein. Ich bin am Telefon mehr oder weniger ausgerastet. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Nach dem Telefonat habe ich herumgebrüllt und geweint, dann in ein Kissen, bis meine Stimme weg war.
Das alles ist jetzt bis auf ein paar Tage ein Jahr her.
Seitdem gab es wohl keinen Tag, an welchem ich nicht an meinen Freund gedacht habe. Enge Freunde helfen mir jeden Tag, und es wurde über einen langen Zeitraum langsam etwas besser.
Ich habe noch Monatelang die Telefonnummer von Icebear angerufen. Einfach nur so. Habe auf den AB irgendwelches Zeug geredet. Ich habe endlos mit der Wand geredet. Habe oft mal eine Kerze angezündet und neben ein kleines Eisbär Figürchen gestellt. Ich habe überall nach Menschen gesucht, die er kannte, die ihn kannten. Ich habe versucht Fotos zu sammeln. Einige bekam ich auch. Sehr dunkel, war es lange in meinem Kopf. Ich konnte nur daran denken, wie unfair das alles ist. Jemand, der eine ganze Welt in seinem Kopf hatte - endlose Geschichten, Gefühle, ehemals Familie, Verbindungen, Freunde, -- jemand wie du und ich, ist einfach weg. Einfach fort. Sein Hausrat auf eine Müllkippe. Ohne digitalen Nachlass, sein Computer vielleicht sonstwo hin. Seine Telefon Nummer ist inzwischen abgeschaltet. Alles was er war ... zumindest alles materielle, ist wie weggewischt worden. Seine Fotos. Seine Vergangenheit. Weg. Und das ist alles so unfair. Das diese Dinge endlich sind, das ist normal, und alle tun jeden Tag so, als gehe alles ewig weiter. Ich war lange sehr bitter. Ich habe eine noch nie gekannte Wut in mir gespürt. Nichts als Rage, Schmerz, und Bitterkeit. Aber zum Glück, ist das Leben als solches etwas gutes, wenn etwas Glück hat. Und ich habe immer noch wirklich liebe Freunde. Ihnen verdanke ich, dass es mir wieder besser geht.
So halte ich Icebear in Ehren, und wünschte mir, alle könnten das. Ich erzähle anderen Freunden von ihm, und ich erzähle sogar manchmal Fremden von ihm. Weil mir das gut tut. Es ist das beste Pflaster für diesen Schmerz.
Ich brachte es irgendwann fertig, ihn auf dem Friedhof zu besuchen. An seinem Geburtstag im März. Ich stellte Kerzen dort auf, und hinterliess ihm einen Brief. Er bekam nie ein richtiges Grab. Wenn ein Mittelloser Mensch dahinscheidet, muss die Stadtverwaltung etwas organisieren. Da es keine Familie gab ... wurde Icebear namenlos einem Grabstein zugeordnet, der gleichzeitig für zahllose andere Menschen als Erinnerung dort steht. Dort waren viele kleine Fotos, viele viele Kerzen, viele andere Briefe. Ein Meer aus Zuneigung.
Ich habe das Sleek Creek House gekauft und alle Dinge aus Icebear's Haus aufgeschrieben, und dann in das neue Haus "gebracht". Also alles aufgestöbert, rausgefunden wo man die Dinge bekommt, und ihnen ein "neues Zuhause" gegeben. Sein schwarzer Löwe ist da. Ich habe ein kleines Erinnerungsstück an ihn dorthin gebaut. Manch jemand findet das alles vermutlich übertrieben. Aber ich tat es für ihn und mich, beides. Es half mir, das alles zu verarbeiten. Also, dort hat mein Freund jedenfalls einen ganz eigenen kleinen Altar. Alle sind eingeladen, sich dort umzusehen. Wann immer ihr mögt.
@jammet
Um meine ganze aufgestaute Wut und Trauer zu verarbeiten, habe ich ausserdem damals damit angefangen, seinen Lieblingscharakter, Silpurr, zu adoptieren. Ich baute den ganzen Charakter aus dem Gedächtnis nach. Inzwischen ist Silpurr mein zweiter Hauptcharakter. Sie ist die stärkste aller meiner DDs geworden. Sie kann alles craften, sie erledigt nochmal alle Quests, ... ich träume manchmal, Icebear würde sie sehen, und mir sagen, dass er stolz auf sie ist.
Ich spiele sie für ihn weiter.